Reißbrett-Wahnsinn und warme Zuflucht

In der Nacht prasselt immer wieder Regen auf das Zelt. Aber das stört mich nicht – im Gegenteil. Ich liege warm eingepackt im Schlafsack, höre dem Trommeln auf der Zeltplane zu und finde es einfach nur gemütlich. Als es Zeit ist aufzustehen, erledige ich alles im Sitzen: einpacken, frühstücken, das Innenzelt abbauen – alles mit System, alles im Trockenen.

Der heutige Tag hat ein Ziel: Gressåmoen, ein alter, stillgelegter Bergbauernhof, den man als Wanderer mieten kann. Eine warme Hütte in Aussicht – das macht Regenwetter plötzlich ganz erträglich.In voller Regenmontur geht’s los. Ich befürchte, dass mir beim Wandern zu warm wird – aber die Temperaturen und der Wind halten die Körperheizung in Schach. Die Landschaft ist rau, wild und weit. So weit das Auge reicht, zieht sich das Fjell unter einem grauen Himmel.

Der E1, der europäische Fernwanderweg, scheint hier allerdings mehr am Reißbrett als in der Realität entworfen worden zu sein. Einen echten Weg gibt es nicht – und was noch absurder ist: die geplante Route nimmt keinerlei Rücksicht auf die Topografie. Mal führt sie mitten durch einen See, der 50 Meter unter einer Steilwand liegt. Dann wieder fliegt sie geradewegs über Schluchten und Gräben, als wäre sie von einem gelangweilten Linienzeichner am Computer geplant worden.

Das zwingt mich zu zahlreichen Umwegen, Klettereien, Zickzackkursen. Am Ende stehen wieder 29 Kilometer auf dem Tacho – davon gefühlt 28 durch Sumpf.

Mehrmals muss ich an einen Eintrag von Felix, meinem Sohn, in meinem Reisetagebuch denken:„Ich kann mir vorstellen, dass es nicht immer so lustig und schön sein wird, aber genau sowas macht doch ein Abenteuer aus, oder nicht? Wäre es immer gemütlich, kuschelig warm, wäre es ja einfach Urlaub.“ Wie recht er hat.

Nach gut acht Stunden komme ich völlig leergelaufen, durchgeweicht und hungrig in Gressåmoen an. Die Hütte ist ein Traum: rustikal, gemütlich, ganz im Stil eines alten Almhofs. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Ich heize ein, koche mir was Warmes, lege die Füße hoch – und spüre, wie langsam wieder Energie in den Körper zurückkehrt.

So endet ein harter Tag im Fjell: mit Wärme, Stille und dem Gefühl, trotz allem am richtigen Ort zu sein.

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